Das machen die spielend

Krippen und Kindergärten sind mehr als nur Betreuungseinrichtungen: Sie sind vor allem Bildungsorte. Über ihre Qualität wird derzeit viel diskutiert. Das macht eine gute Kita aus

Von Thomas Goebel

Als wäre es nicht kompliziert genug, einen Platz in einer Kita zu finden, die halbwegs erreichbar ist und zeitlich irgendwie in den Familienalltag passt. Dann muss es auch noch genau die richtige Einrichtung fürs Kind sein – was immer das genau heißt. Wo früher von Betreuung gesprochen wurde, reden heute alle von frühkindlicher Bildung, von Förderung, von Qualität in Krippe und Kindergarten. Doch was soll und kann eine gute Kita wirklich leisten? Und wie erkenne ich das als Mutter oder Vater am besten schon vorher?
„Lernen und Spielen sind für Kinder ein und dasselbe.“ So steht es im Orientierungsplan für Bildung und Erziehung von Baden-Württemberg, der wie die Bildungspläne der anderen Bundesländer den Kitas als Grundlage für ihre Arbeit dienen soll. Susanne Viernickel, Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Alice Salomon Hochschule Berlin, sieht das genauso: „Kinder sind Wesen, die von sich aus lernen – und am besten lernen sie, wenn sie an etwas Interesse haben.“ Wenn man betont, dass Kitas auch Bildungseinrichtungen sind, sei das richtig. Das bedeute aber gerade nicht, dass die Kinder dort „mit Wissen befüllt werden sollen“, sagt Viernickel.

Entfaltungsräume schaffen
Stattdessen sieht sie ErzieherInnen als „Lernbegleiter“: Wenn es gut läuft, machen sie Angebote, die den Interessen jedes Kindes entsprechen. Und sie sorgen dafür, dass es selbst vielfältige Erfahrungen machen kann – alleine, mit anderen und immer mit möglichst vielen Sinnen: beim Bauen, Basteln, Kochen oder im Rollenspiel, beim Toben, Rennen, Hüpfen und Klettern, beim Singen und Krachmachen, beim Anschauen und Zuhören.
Damit eine Kita das leisten kann, müssen einige Bedingungen erfüllt sein, sagt Viernickel. Ein guter Personalschlüssel zum Beispiel, um jedes Kind wahrnehmen zu können, seine Entwicklung zu dokumentieren und auf seine Fragen und Ideen einzugehen. Mindestens eine Fachkraft für vier Kinder unter drei Jahren oder für neun Kinder über drei Jahren empfiehlt die Professorin. Auch die Raumgestaltung spiele eine große Rolle: Winzige Bastelecken seien wenig anregend. „Und wenn ich als Kind nach jedem Stift fragen muss, ist das auch nicht günstig.“ Gut sei zumindest ab dem Kindergartenalter ein offenes Konzept, bei dem sich die Kinder in Freispielzeiten ihre Themen selbst aussuchen. Dazu bietet jeder Gruppenraum der Einrichtung einen anderen Schwerpunkt – Bauraum, Atelier oder Lesezimmer.

Pädagogik auf Augenhöhe
Wirklich entscheidend seien aber die pädagogischen Prozesse, sagt Viernickel, also der ganz konkrete Alltag in der Kita. Der habe massive Auswirkungen auf die Kinder, auf ihre Entwicklung und ihr Wohlbefinden. Grundlage von jedem guten Konzept sei „ein Verständnis von Kindern als Wesen, die Respekt und Wertschätzung erfahren.“
Ilse Wehrmann nennt das „die Haltung zu den Kindern“. Die Erzieherin und promovierte Pädagogin berät Unternehmen, Stiftungen und die Politik. Ihre wichtigste Frage, um die Qualität einer Kita zu beurteilen, lautet: „Werden die Kinder ernst genommen?“ Das heißt für Wehrmann nicht, den Kindern alles durchgehen zu lassen. Es bedeutet, sie auf Augenhöhe zu behandeln, nicht von oben herab: „Das meine ich ganz wörtlich: Gehe ich in die Hocke, wenn ich mit einem Kind rede? Begrüße ich es mit seinem Namen? Höre ich mir an, was es zu sagen hat? Habe ich die Zeit, mit ihm über seine Fragen zu philosophieren?“ Feinfühligkeit und Empathie seien dafür ebenso wichtig wie die Bereitschaft der ErzieherInnen, die Kinder mitentscheiden zu lassen.
Den Eltern rät Wehrmann, „kritisch zu sein, was die Qualität von Kitas angeht“: Auch Väter und Mütter sollten ernst genommen und einbezogen werden, „nicht nur zum Kuchenbacken für den Basar.“ Leider gebe es in Deutschland keine verbindlichen Qualitätsstandards für Kitas. Aber durch den Ausbau der Einrichtungen wachse die Wahlmöglichkeit: „Das sollte man nutzen.“ Eltern können sich das schriftliche Konzept einer Einrichtung zeigen lassen und um eine Hospitation bitten: „Denn entscheidend ist, wie es gelebt wird.“

Ansprüche rein, Druck raus
Eine gute Kita erkenne man daran, dass sie mit aktuellen Konzepten bewusst umgeht, sagt Susanne Viernickel: „Ziel ist nicht, jede Woche ein tolles neues Projekt abzuhaken.“ Leitung und Team einer guten Einrichtung schauten zuerst auf die Kinder und ihre Familien. „Sie finden heraus, was guttut – und entwickeln einen eigenen Wertekern.“ Das kann in einer Kita, die in einem sozialen Brennpunkt liegt, anders aussehen als in einer Betriebskita. Auch die Professorin empfiehlt, sich den Alltag in der Einrichtung anzuschauen: Langweilen sich die Kinder oder sind sie aktiv? Wird ihre Kreativität gefördert oder mit den immer gleichen Bastelschablonen gearbeitet? Findet ein wirklicher Dialog mit ihnen statt? „Die Atmosphäre, die man in der Einrichtung spürt, ist wichtig.“
Ilse Wehrmann hat noch einen weiteren Rat: Anspruchsvoll sollten Eltern sein, aber sich nicht vom Leistungsdruck anstecken lassen. „Kinder brauchen Zeit für ihre Entwicklung“, sagt sie und zitiert ein afrikanisches Sprichwort: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Für Eltern gelte dasselbe wie für gute Kitas: „Lasst Kinder auch Kinder sein. Und lasst sie in Ruhe spielen.“


kizz. Das Elternmagazin für die Kitazeit, Januar 2016