Wenn es ungemütlich wird, müssen Pflanzen damit
klarkommen.
Nun wollen Forscher ihre Survivaltricks kopieren
Von Thomas Goebel
Die Reispflanzen auf vielen Feldern Indiens sind schwer im Stress.
Der Boden um ihre Wurzeln herum wird ihnen zu salzig. Grund ist die
Bewässerung, die neben der Flüssigkeit auch neue Mineralien
herantransportiert. Das Salz macht es den Reispflanzen schwer, Wasser
aufzunehmen. Außerdem droht es, sie zu vergiften. Je versalzener
der Boden, desto gestresster der Reis.
Viele Umwelteinflüsse können Pflanzen das Leben schwermachen:
Hitze und Kälte, Dürre und Überflutung, zu viel oder zu
wenig Licht. "Abiotischen Stress" nennen Biologen die Krisen, in denen
es Blumen, Bäumen und Gräsern an ihrem Platz ungemütlich
wird, weil ein Umweltfaktor nicht ausreichend oder aber im
Übermaß vorhanden ist.
Für Tiere lautet in diesen Situationen die naheliegende
Antwort: Flucht. Schmilzt die Eisscholle, macht sich der
Eisbär auf die
Suche nach einer kälteren Heimat. Die Reispflanze hat diese
Möglichkeit nicht. Egal wie salzig der Acker wird, sie steht fest
verwurzelt an ihrem Platz. Will sie überleben, bleibt ihr nur eine
Chance: Sie muss sich den veränderten Bedingungen anpassen.
Viele Pflanzen haben im Laufe ihrer Evolution eine besondere Gestalt
entwickelt, um mit Extremsituationen fertig zu werden. Sukkulenten, zu
denen etwa Agaven und die Aloe Vera gehören, verfügen in
ihren dicken Blättern über spezielle Speicherorgane für
Wasser. Eine üppige Wachsschicht reduziert die Verdunstung auf ein
Minimum. So können sie Hitze und lange Trockenperioden unbeschadet
überstehen. Ein extremes Beispiel für diese Form der
Anpassung ist der Kaktus: Er besteht fast ausschließlich aus
einem einzigen Wasserspeicher – seiner dicken Sprosse. Und er
verzichtet auf Blätter, über die Feuchtigkeit verdunsten
könnte.
Pflanzen haben sich aber nicht nur langfristig angepasst, indem sie
ihre Gestalt veränderten. Pflanzen sind auch in der Lage,
kurzfristig – zum Teil innerhalb von Sekunden – auf Stress
zu reagieren. Dieser Mechanismus fasziniert Molekularbiologen wie Ralf
Reski, den Leiter des Fachgebiets Pflanzenbiotechnologie an der
Freiburger Universität. Wie nimmt eine Pflanze Umweltreize wie
eine erhöhte Salzkonzentration überhaupt wahr? Wie wird diese
Information innerhalb der Pflanze weitergegeben? Und welche Reaktion
löst der Alarm schließlich aus? Diesen Fragen gehen Reski
und sein Mitarbeiter Wolfgang Frank, der eine Forschergruppe zum Thema
leitet, nach. Antworten erwarten sie vom Kleinen Blasenmützenmoos
(Physcomitrella patens).
"Moos erscheint sehr verletzlich", sagt Reski. "Es ist aber wegen
seiner Geschichte besonders anpassungsfähig." Moose waren die
ersten Pflanzen, die das Wasser verließen und das Land bewuchsen
– vor über 400 Millionen Jahren. "Das Moos hat die
Dinosaurier kommen und gehen sehen", sagt der Biologe. "Es ist
eigentlich eine total einfache Pflanze – aber auch eine total
erfolgreiche." Moose sind keine Spezialisten, sie sind Generalisten: In
ihrer langen Geschichte haben sie es immer wieder geschafft, sich auf
neue Umweltbedingungen einzustellen. "Deshalb ist ihr Repertoire
besonders groß", sagt Ralf Reski.
Das Repertoire für die Reaktionen des Kleinen
Blasenmützenmooses, um widrigen Bedingungen zu begegnen, steckt in
seinen rund 36 000 Genen – der Mensch besitzt nur etwa 23 000. Im
letzten Jahr wurde von einem internationalen Team von 70
Wissenschaftlern unter Federführung der Freiburger Biologen das
gesamte Erbgut des Mooses entschlüsselt. Auf dieser Basis ist es
einer Arbeitsgruppe um Reski und Frank nun gelungen, mit
Unterstützung der Freiburger Initiative für Systembiologie
Frisys und dem Exzellenzcluster Bioss ein solches Notsignal zu
entdecken, das die Pflanze bei kritischen Umweltbedingungen in den
Alarmzustand versetzt. Demnach leiten die Zellen des Mooses die
Information "Achtung, viel Salz im Boden" mit Hilfe eines Proteins an
den Zellkern weiter – und ermöglichen es der Pflanze
dadurch, auf den Stress zu reagieren. Die Ergebnisse wurden vor kurzem
in der renommierten Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. "Im
Prinzip arbeiten wir daran, die Sprache des Zellkerns zu lernen", sagt
Reski. "Das Moos ruft: Draußen ist Salz, schalte deine
Schutzmechanismen an!"
Wie die Pflanze das Salz überhaupt wahrnimmt, haben die
Wissenschaftler noch nicht verstanden. Reski und Frank können
jetzt aber zeigen, was danach passiert: In den einzelnen Zellen beginnt
das Protein Kalzium-ATPase Kalzium-Ionen in kleine Vakuolen, kleine
Vorratsbehälter, zu pumpen. Die Kalzium-Konzentration sinkt, um
nach dem Aussetzen der Pumpe wieder anzusteigen. Durch wiederholtes
Pumpen entsteht eine Art rhythmisches Kalzium-Muster, das die
Information über den Salzstress enthält. Der Zellkern
versteht diese Sprache und bildet Schutzproteine – das Moos
überlebt. Bei einzelnen Exemplaren schalteten die Forscher das
Pump-Protein gezielt aus. Das Ergebnis: Die Signalleitung war
gestört, das Moos konnte nicht auf das Salz reagieren und ging
schließlich ein.
"Die Reaktion von Pflanzen auf Stress besteht immer aus zwei Schritten:
einer Signal- und einer Anpassungsphase", sagt Jörg Kudla,
Professor am Institut für Botanik der Uni Münster. Empfangen
die Zellen der indischen Reispflanzen etwa Signale über zu viel
Salz im Wasser, können sie mit Hilfe von Transportproteinen einen
Teil des Salzes direkt aus den Wurzeln zurück in den Boden pumpen.
Reicht das nicht, wird eine "zweite Verteidigungslinie" aktiv,
erklärt Kudla: "Die Pflanze pumpt Salz in ihre Zellvakuolen und
lagert es dort wie in einem Mülleimer ab." So wird der
Stoffwechsel in den Zellen nicht gefährdet. Einige Spezialisten,
die besonders gut an sehr salzige Standorte angepasst sind, haben sogar
noch mehr als diese Standardreaktionen zu bieten: So sind etwa der
Strandflieder oder das Schlickgras in der Lage, auch über
spezielle Drüsen an ihrer Blattoberfläche Salze wieder
auszuscheiden.
Besonders häufig sehen sich Pflanzen bedroht von Trockenheit. Sie
reagieren darauf mit Wassersparen – und zwar, indem sie die
Spaltöffnungen ihrer Blätter schließen und so die
Verdunstung reduzieren. Ausgelöst wird dieser Mechanismus durch
verringerten Flüssigkeitsdruck in den Schließzellen;
gleichzeitig sorgt ein spezielles Hormon dafür, dass die Spalten
geschlossen bleiben. Gräser zum Beispiel rollen sogar ihre
Blätter ein – so wird die Verdunstung von Wasser noch weiter
reduziert.
Auch auf diesem Gebiet gibt es Spezialisten: Die aus Südafrika
stammende Auferstehungspflanze (Craterostigma plantagineum) bildet bei
Trockenheit spezielle Zucker, die dafür sorgen, dass die
wichtigsten Zellstrukturen der widrigen Witterung widerstehen: Sobald
es regnet, richtet sich die verwelkte Pflanze wieder auf und
wächst weiter. Selbst von wochenlangen Dürreperioden erholt
sie sich innerhalb weniger Stunden.
Ob Spezialist oder Generalist, langfristig helfen den Pflanzen ihre
Panikreaktionen nicht weiter. Auch Strandflieder, Schlickgras und
Auferstehungspflanze können nur beschränkte Zeit durchhalten.
Und sie zahlen, sobald sie ihre Schutzmechanismen aktivieren
müssen, einen hohen Preis: Sie wachsen kaum noch. Aber schon
solche kurzfristigen Erfolge reichen aus, um die Forscher träumen
zu lassen. Ralf Reski und seine Freiburger Kollegen hoffen zum
Beispiel, mit Hilfe der bei den Moosen abgeguckten Tricks
widerstandsfähigere Nutzpflanzen zu entwickeln. "Man könnte
zum Beispiel untersuchen, ob die Zellen der Reispflanzen eine
ähnliche Sprache sprechen", sagt der Biologe. Selbst die
Übertragung von Moosgenen in Reispflanzen schließt Reski
nicht völlig aus – aber nur als Ultima Ratio, wenn alle
anderen Verfahren versagen.
Badische Zeitung, 10. Januar 2009